Bernd Szarkowski-Tegtmeier Blog

Eine Zukunftsvision aus dem Jahr 1921 - Bielefelder Notgeld nach 80 Jahren

Bernd Szarkowski-Tegtmeier  December 3 2012 10:14:28 AM
Beim Schmökern in antiquierten Büchern bin ich auf einen lesenswerten Artikel gestoßen, den ich in diesem Blog-Post einmal zitiere. Er passt besonders in die "besinnliche Jahreszeit", in der man sich oft an beschwerliche frühere Zeiten erinnert und sich darüber freut, wie gut sich unsere Gesellschaft in den Jahren entwickelt hat. Dieser Text ist allerdings etwas Besonderes, weil er genau umgekehrt entstanden ist: Der Autor hat eine Zukunftsvision in einer Zeit aufgeschrieben, in der gerade der erste Weltkrieg überstanden war. Er malt dabei sich und seiner Umwelt eine bessere Zukunft aus, ohne zu ahnen, dass ein zweiter Weltkrieg noch viel schlimmeres Leid bringen wird. Diesen zweiten Weltkrieg wird er selbst noch erleben.

Das Textfundstück, das im Jahr 1921 in einer Sonderausgabe der Zeitschrift "Niedersachsen" anlässlich der Feierlichkeiten zum 700jährigen Bestehens der Stadt Bielefeld veröffentlicht wurde, enthält neben viel Hoffnung auch eine gehörige Portion westfälischem Humors. Aber auch Patriotismus und Wut sind enthalten, was angesichts der bitteren Lage auch verständlich ist. Das alles ist eine sehr pikante Kombination, die unterm Strich verdeutlicht, dass Humor immer noch das beste Mittel ist, schwierige Zeiten mental gestärkt zu überstehen.

Der Verfasser des Artikels ist Paul Hanke, der von 1870 bis 1945 gelebt hat und bis zum Jahr 1925 Direktor der Sparkasse Bielefeld war. Er ist damit einer der Väter des Bielefelder Notgeldes, welches er für die Sonderausgabe der erwähnten Zeitschrift ausführlich beschreibt. Das Bielefelder Notgeld hat bei Sammlern eine gewisse Berühmtheit erlangt, wenn auch nicht in dem Maße, wie Paul Hanke sich das wohl ausgemalt hat. Der Grund dafür ist die Gestaltung der Banknoten, die von lokal ansässigen Künstlern, einigen Manufakturen und auch anderen Bürgern der Stadt geschaffen wurde. Auf den Geldscheinen werden größtenteils Geschichten und Istzustände des gesellschaftlichen Lebens in Bielefeld um 1920 festgehalten. Die meisten Aussagen sind nachprüfbar und geben einen guten Einblick in die damalige Zeit. Ein paar Anekdoten sind aber auch dabei, bei denen ich persönlich von einem hohen Wahrheitsgehalt ausgehe, da zu der besagten Zeit noch Zeitzeugen lebten.

Der Hintergedanke Paul Hankes bei der Schaffung dieser Banknoten war ganz klar die Erhaltung der aktuellen (Not-) Lage und des Zeitgeschehens, sowie einiger geschichtlicher Ereignisse der Stadt für die Nachwelt. Er hat sich sicherlich auch deshalb für die Schreibweise als Zukunftsvision entschieden, um seinen Artikel genau diesen Gedanken mitzugeben. Ich empfehle, sich beim Lesen Zeit zu nehmen und sich zuvor gedanklich in das Jahr 1921 zu versetzen. Der Text ist gespickt mit reichlich Informationen, die teilweise erst bei der zweiten Durchsicht auffallen. Oftmals muss der Leser zwischen Tatsachen und Visionen unterscheiden. So prophezeit Hanke z.B. Karl Muggly ein sehr, sehr langes Leben von 115 Jahren. Am Kesselbrink sieht er zukünftig die Stadthalle stehen und die Bielefelder Scherenschnitte sollen Weltruhm erlangen und ein Industriezweig werden. Wir lernen darüber hinaus die Assoziation von Carl Severing mit bockspringenden Soldaten kennen und wissen mehr über das Wetterhäuschen am Oberntor, das viele ältere Einwohner heute noch in Erinnerung haben. Wenn man einwenig über den Tellerrand hinweg einen Blick auf weitere, hier im Text nicht erwähnte, Notgeldscheine wirft, wird schnell klar, dass das Gesamtwerk aller beteiligten einen großen Schatz für Heimatforscher darstellt. Die Notgeldscheine selbst sind genau so mit Informationen übersät, wie der vorliegende Artikel. Eine Lupe sollte man deshalb beim Betrachten der Scheine zur Hand haben.

Jetzt aber zum Artikel: Der Text ist unverändert und vollständig, jedoch mit Links, Querverweisen und Bildern ergänzt. Der Plattdeutsche Teil ist etwas schwierig zu lesen; es handelt sich dabei um eine Abwandlung plattdeutschen Märchens „Dat Schmidken van Bielefeld“ („Der Schmied von Bielefeld“). Im Original geht dieser einen Pakt mit dem Teufel ein - in dieser Modifikation geht es natürlich ums Bielefelder Notgeld. Ergänzende Infos sind herzlich willkommen! Und nun wünsche ich viel Spaß bei der jetzt folgenden Zeitreise!

Bielefelder Notgeld nach 80 Jahren


Bielefelder Notgeld nach 80 Jahren

Es ist im Winter des Jahres 2000. In der trauten Klause des Einfamilienhauses am Lehmstich [Karte] in Bielefeld sitzt der Weber Hennerken Kralemeier. Mit dicken Wolken pafft er den Crüwellschen Tabak aus einer kurzen Soldatenpfeife. Die Pfeife ist ein Erbstück seines Großvaters. Eine behagliche Wärme durchströmt den Raum. Das städtische Gaswerk versorgt durch eine „Zentral-Heizungsanlage“ die Bielefelder Wohnhäuser mit den nötigen Wärmestoffen. Neugierig betrachtet der zehnjährige Sohn Christian den hübsch geschnitzten Pfeifenkopf; weiß er doch, daß Vater das Erbstück aus Kriegszeit hoch in Ehren hält. Mit dieser Pfeife ist der Großvater als Leineweber auf dem Fünfmarkschein der Stadt Bielefeld Weihnachten 1918 abgebildet worden. Als Mutter den dampfenden Pickert auf den Tisch brachte und Pumpernickel, mit westfälischem Schinken und „wirklicher Butter“ aus der städtischen Molkerei dazustellte, ging ein behagliches Schmunzeln über das Gesicht von Hennerken Kralemeier. „Ja damals, als Großvater noch lebte, und der erbitterte Krieg auch den Bielefeldern das Hungern lehrte, ja damals, da war’s anders, und recht böse sah es aus“, dabei legte er sich den Pickert mit dick bestrichener Butter in doppelter Auflage auf den Teller. „Ja Hennerken“, sagte mein Großvater zu mir: „Wir haben es mitunter recht knapp gehabt in Bielefeld. 850 Pferde, das ist die Bespannung von zwei kriegsstarken Schwadronen Kavallerie, haben wir allein während der drei Monate von Dezember 1917 bis Februar 1918 in Bielefeld, für teures Geld, aufgegessen. 50g Fleisch standen uns, an 5 Tagen in der Woche, auf Marken zu. „Auf Briefmarken“, fragt der zehnjährige Sprössling? „Nein, auf Fleischmarken!“, lautet die Antwort. „Vater, sind das Marken aus Fleisch?“ „Dummer Junge,“ knurrt der Vater, „Großvater erzählte immer, daß Lebensmittel nur gegen kleine Papierzettel, die auf dem Rathaus ausgegeben wurden, beim Händler zu kaufen waren“. „Ja, ja,“ seufzt Mutter Kralemeier, „auch meine Großtante Lohmann dachte mit Schrecken an diese Zeit, in der sie die Stachelbeeren aus ihrem Garten ohne Zucker einkochen mußte. Ich habe eins von den vielen Büchern geerbt, die die Stadt-Sparkasse Bielefeld im Rathaus ausgegeben hatte, da steht genau drin, wie man die verschiedensten Kartoffelgerichte ohne Fett herstellen und aus Brennesseln einen schmackhaften Salat machen kann. Im ganzen Monat Mai 1918 erhielt jeder in Bielefeld nur 250g Suppen, 250g Teigwaren, 250g Morgentrank, 900g Fleischwaren, also nicht einmal 2 Pfd. Fleisch für vier Wochen, und 7 Pfd. Kartoffeln wöchentlich; da hieß es, sich einrichten!“

„Mutter, woher weißt du das alles so genau?“ fragt der kleine Stift. „Ja Junge,“ erklärt stolz der Vater, „das steht alles auf den Notgeldscheinen, die die Stadt Bielefeld vor mehr als 80 Jahren herausgegeben hat. Auf dem Zehnmarkschein steht, neben zwei Frauen in schmucker Ravensberger Tracht, der Sinnspruch: Ehret die Frauen! Und dann ist da, ganz klein, noch ein Vers abgedruckt:

Der Krieg ist kein Schlaraffenland,
Mit Brot und Fleisch war’s knapp bestellt,
Doch half der Hausfrau Meisterhand
Durchhalten, in dem Krieg der Welt.

Darunter stehen dann alle die Zahlen und Lebensmittel, die Mutter dir eben angegeben hat. „Geh’ doch mal nach der guten Stube und hole aus der unteren Schublade der Kommode das Album mit dem Kriegstagesbuch und den Kriegsnotgeldscheinen der Stadt-Sparkasse hervor.“ Stolz " brachte Christian das Gewünschte. Fein säuberlich waren die Notgeldsscheine, je zwei auf jeder Seite, befestigt. Diese Aufbewahrung war besonders praktisch und glücklich; jeder Schein war doppelt. Man konnte sofort die Vorder- und auch die Rückseite genau betrachten. Der freie Raum auf jeder Seite der Kartonblätter war mit handschriftlichen Notizen des Großvaters versehen, die die Eigenheiten der Bielefelder Kriegsnotgeldscheine erläuterten. „Ja, mein Junge,“ sagt Hennerken Kralemeier, „sieh mal, so hübsch hat Großvater an uns gedacht; diese Notgeldsammlung ist angelegt, um den Enkeln und Urenkeln noch Zeugnis abzulegen von der ernsten Zeit, in der 11 000 Bielefelder gegen 29 feindliche Staaten kämpfen. Dein Großvater hat sich brav geschlagen; das eiserne Kreuz und einen Schuß durch die große Zehe hat er sich im Felde geholt. Großvater stand erst bei den 55ern und dann bei den 131ern, also bei beiden Infanterie-Regimentern, die früher in Bielefeld lagen. Sieh mal hier den Zwanzigmarkschein der Stadt-Sparkasse, da steht auf der Rückseite der Ausspruch des großen Generalfeldmarschalls v. Hindenburg: „Ich weiß, daß ich mich auf das Regiment 131 verlassen kann. „Sieh, diese Stelle, die du mit der Vergrößerungsbrille deutlich aus dem Untergrunde hervorleuchten siehst, hat dein Großvater mir oft mit Stolz gezeigt. „Du, Junge,“ sagte er zu mir, „denk später noch an deinen Großvater, die Ruhmestage, die auf dem Stadtschein neben den hübsch gezeichneten Soldatenköpfen abgedruckt sind, enthalten die Daten, an denen unsere Bielefelder mit Franzosen und Russen, Engländern und Amerikanern, Schwarzen und Weißen um unsere liebe Heimat gekämpft haben. Wenn du auf der Rückseite des Zwanzigmarkscheins links die Buchstabenreihe entziffern kannst, dann liest du den Namen unseres braven Bielefelder Rekrutenleutnants: Kastrup, der für seine Tapferkeit vor dem Feinde zum Offizier befördert wurde; wir Bielefelder haben uns tapfer geschlagen. Der Spruch auf dem Zwanzigmarkschein: „Und wenn die Welt voll Teufel wäre, es muß uns doch gelingen!“ war unser Kampfruf, wenn wir mit westfälischen Fäusten, voll innerer Wut, dem Feinde die Denkzettel erteilten!“

Auf der Vorderseite der Zehn- und- Zwanzigmarkscheine siehst du durch ein Vergrößerungsglas Johannisberg- und Sparenberg als Rübe gezeichnet.

Auf der Platzanweisung zu 10 Pfg. kannst du die Lebensmittelpreise lesen, die in Bielefeld im Jahre 1917 und in Paris im Jahre 1870 gezahlt wurden; 1917 kostete ein Hühnerei in Bielefeld nur 28 Pfg. Kartoffeln waren aber so knapp, daß im Winter 1916/17 30000 Zentner Steckrüben in Bielefeld verzehrt wurden. Wenn du den 25-Pfg.-Schein dir ansiehst, dann kannst du aus der Rübe mit einem Gesicht, die der Zeichenlehrer Eich [1] aus Bielefeld entworfen hat, sehen, wie der Bielefelder aussah „vor dem Genuß“ und wenn du den Schein umdrehst, dann siehst du, wie er „nach dem Genuß“ der Steckrüben seine Miene verzogen hat. Auf jedem Notgeldscheine der Stadt Bielefeld siehst du immer wieder neue Kriegserinnerungen, die in Wort und Bild festgehalten sind. Stundenlang kannst du dich an den Scheinen erfreuen. Westfälische Sitte und Kulturgeschichte, Kriegserinnerung und künstlerisches Können in der Festlegung schwungvoller Zeichnungen sind auf den farbenfrohen prächtigen Scheinen vereinigt. Wenn du wissen willst, wann Deutschland das Waffenstillstandsangebot nach Amerika, an den Präsidenten Wilson, abgesandt hat, wenn du nachlesen willst, wann der Friede mit Rumänien oder Rußland abgeschlossen wurde, oder an welchem Tage Kaiser Wilhelm II. abdankte und Deutschland Republik wurde, oder der Volks- und Soldatenrat in Bielefeld zusammentrat, dann brauchst du nur auf dem Fünfmarkscheine nachzusehen. Der Schein enthält auch die sämtlichen Namen der 29 Staaten, mit denen Deutschland Krieg führte. Alle Scheine zusammen, die von der Stadt-Sparkasse Bielefeld in den Verkehr gebracht wurden, bilden in sich ein geschlossenes Ganze. Wie in einem Erinnerungsbuche vereinigt findest du alle diejenigen Kriegsbilder künstlerisch festgehalten, die dir die Bielefelder Heimatgeschichte lieb und wert machen.

Bielefeld Rübenfeld
"Bielefeld - Rübenfeld" - Diese Illustration wurde von einem Bielefelder im Schützengraben gezeichnet und für die Zehn- und Zwanzigmarkscheine verwendet.


Als Großvater Weihnachten 1917 im Felde lag, hatten sich unsere Truppen im Schützengraben eingebuddelt. Großvater erhielt von der Stadt Bielefeld eins von den 60 000 Feldpaketen, die die Bielefelder Kriegshilfe als Liebesgabe in die Welt gesandt hatte. Dem Weihnachtspäckchen lag eine Preisaufgabe der Stadt-Sparkasse bei. Unsere Bielefelder Jungens sollten die Bielefelder Rübe im Gedicht oder in einer Zeichnung für die Geldscheine festhalten; für die besten Aufgaben wurden Ehrenpreise ausgesetzt. Was meinst du wohl, Junge, was das für eine Freude war?: eine halbe Wagenladung der Gedichte wurde an die Stadt-Sparkasse Bielefeld gesandt. Das Rübenmuster aus den Zehn- und Zwanzigmarkscheinen: „Bielefeld, Rübenfeld,“ das verkleinert auf dem Zehn- und Zwanzigmarkscheine wiedergegeben wurde, ist von einem Bielefelder im Schützengraben gezeichnet worden. Der Zweimarkschein kann auf den Kopf gestellt werden, und sieht von oben und unten gesehen, gleich aus. Die Kriegsausgaben der Stadt Bielefeld sind mit genauen Zahlen des Verbrauches wiedergegeben. Der Einmarkschein enthält den Wahlspruch: Freie Bahn dem Tüchtigen, und den Untergrund „Bielefeld, Leinenstadt, schöne Stadt“. Der Volkswitz hat sich des Einmarkscheines besonders angenommen; die auf der Rückseite wiedergegebenen bockspringenden Soldaten haben die Deutung erfahren: Minister Severing, früher Stadtverordneter in Bielefeld, überspringt, durch seine Ernennung zum Minister, den Bielefelder Oberbürgermeister. Von besonderem Interesse ist der Fünfzigmarkschein, mit angehefteter Scheckleiste über 20 Mark. Notgeld in des Wortes bester Bedeutung war dieser Schein. Die erforderlichen Geldmittel zur Zahlung: der Kriegsunterstützungen an die Kriegerfrauen blieben aus. Die Staatskassen hatten keine Geldmittel erhalten. Die Stadtkasse mußte zahlen, um Unruhen in der Bürgerschaft zu vermeiden. Geld war nicht aufzutreiben. Über Nacht wurden die Scheckformulare der Stadt-Sparkasse mit einem Ausdruck „50 M“ und die Scheckleiste mit „Gutschein 20 M“ versehen; die noch nicht trockenen Scheine konnten die Geldnot beseitigen. Nicht nur die städtischen Kassen, sondern auch die Reichsbank und die übrigen Geldinstitute benutzten den Fünfzigmarkschein der Stadt-Sparkasse mit der Gutscheinleiste über 20 Mark als Notgeld. Wie warme Brötchen beim Bäcker, gingen die Scheine flott ab; sofort von der Druckerei in den Verkehr. „Ja Vater,“ sagt Christian, der mit leuchtenden Augen der Erklärung des Vaters gefolgt war, „hier auf den folgenden Seiten im Album sind ja noch weitere künstlerische Wertscheine mit dem „Gesundbrunnen von Bielefeld“ und dem „Schmied von Bielefeld, was hat das denn zu bedeuten?“ „Sieh mal Junge“ erklärt der Vater, „bei d iesen neuen Scheinen handelt es sich um eine zweite Serie, die die Bielefelder Geschichte in 700 Jahren behandelt. Bielefeld gehörte früher zur Grafschaft Ravensberg. Krieg und Schrecken des Dreißigjährigen Krieges sind auch am Bielefelder Leinenstädtchen nicht spurlos vorübergezogen. Der Kampf mit Tod und Teufel, mit Krankheit, Pest und Weibertücke wird in diesem Notgelde festgehalten. Von Professor Steinach, der vor 80 Jahren die alten Menschen verjüngen wollte, hast du gewiß in einem alten Schmöker schon gelesen. Nun sieh mal, die Bielefelder haben einen „Jungbrunnen“ schon vor vierhundert Jahren gehabt. Der hochfeine, seidene 25-Markschein, den du hier siehst, das Prachtstück der Sammlung, ist vor langen Jahren von dem im Jahre 1999 verstorbenen Lehrer an der Kunstgewerbeschule Bielefeld, Herrn Muggly, mit kunstvoller Linienführung gezeichnet worden. Herr Muggly hatte eine geschickte Hand für Glasmalerei. Beim Kriegerdenkmal am Oberntorwall steht noch das Wetterhäuschen mit den hübschen farbenfrohen Glasarbeiten in Mosaik, die er gefertigt hat.

Bielefelder Notgeld: 1 Mark Schein
Bielefelder Notgeld: Der 1 Mark Schein zeigt bockspringende Soldaten und titelt "Freie Bahn dem Tüchtigen,
Minister Severing den Bielefelder Oberbürgermeister überspringt"


Bielefeld war früher Kurort, bis zum Jahre 1666. Auf dem Köttelbrink, dem späteren Kaiser-Wilhelm-Platz, dort wo jetzt das Forum mit der prächtigen Stadthalle, den großen Lesesälen und der Stadt-Sparkasse mit der Stadtbank steht, die bei einem Zinssatz von 3 1/2 % für Scheckgelder, 120 Millionen jährlich umsetzt, und die so groß ist, daß man mit einem städtischen Automobil von der einen Abteilung zur anderen fahren kann, war früher der Bielefelder Gesundbrunnen. 438 Heilungen wurden in zehn Wochen erzielt. Dr. med Redecker, der auch früher Bielefelder Oberbürgermeister war, bestätigte dies, wie du es auf dem zum 700jährigen Stadt-Jubiläum herausgegebenen Zweimarkscheine noch nachlesen kannst. Professor Steinach hat seine Verjüngungskur hauptsächlich an Ratten und Kaninchen und nur an wenigen Menschen erprobt. Der von Herrn Muggly in humorvoller Weise festgehaltene Jungbrunnen, in den alte Jungfrauen mit Krücken hineinstiegen, um in leuchtender Schönheit jugendfrisch wieder herauszukommen, zeigt die verblüffenden Erfolge der Bielefelder Verjüngungsmethode an der holden Weiblichkeit. Heute noch siehst du in der Bielefelder Obernstraße stets nur hübsche junge Mädchen. Professor Steinach ist glänzend geschlagen!!!

Die humorvollen Eckbilder beim 25-Markschein, in denen „Hennerken Puls“, ein Bielefelder Original, an einem Sonntagmorgen ein Bad im Lutterbach nimmt, sind urwüchsig und heiter. Die Bielefelder Färbereien führten ihre Abwässer und Farbstoffe dem Lutterbache zu. Hennerken, der im angesäuselten Zustande nicht daran dachte, stieg entkleidet in den Lutterbach und sah plötzlich mit Entsetzen, daß er vollständig blau gefärbt wurde. Die Versuche, sich nachträglich „weiß zu waschen“, gelangen zum größten Jubel der Bielefelder Jugend nur sehr kläglich. Aber höre nur weiter zu: Als Bielefeld noch ein kleines Leinenweberstädtchen war, wurden die sämtlichen Bekanntmachungen durch den Ratsdiener ausgeklingelt. Die am Lutterbach liegenden Bleichereien und Färbereien wurden gewarnt, durch ihre Abwässer das Wasser des Lutterbachs zu verunreinigen, dies war an den Tagen, an denen die Brauereien ihr Dünnbier brauten. Es geschah dies in humorvoll drastischer Weise mit dem Ausrufe:

Es wird hiermit bekannt gemacht,
daß niemand in die Bache „spuckt“
denn morgen wird gebraut.

Auch diese und andere Erinnerungen an Bielefelder Freud und Leid sind in der neuen Serie festgehalten. Der Bielefelder 25-Markschein ist von der Firma Gundlach in Bielefeld aus Bielefelder Seide gedruckt. Auch auf Bielefelder Leinewand, dem Erzeugnis unseres Bielefelder Gewerbefleißes, sind Jubiläumsschiene hergestellt. Zahlreiche Freunde der Bielefelder Notgeld-Eigenheiten haben ihr lebhaftes Interesse, durch starke Nachfrage nach den neuen Scheinen, geltend gemacht. Bielefeld will im Notgelde eigene Wege gehen. Nicht Nachahmung, sondern persönliche Eigenart, westfälische Sitte und Ravensberger Schaffensdrang kommt in der Neuheit treffend zum Ausdruck. Ein- und Zweimarkscheine enthalten, neben statistischen Angaben aus der 700jährigen Geschichte unseres Heimatstädtchens, Bielefelder Besonderheiten in hochkünstlerischer Wiedergabe. Hausmarken, wie sie am alten Bielefelder Schmuckhäuschen noch heute angebracht sind finden wir auf dein Scheinen wieder. Wie die adligen Höfe früher ihr Wappen führten, so hatten die Bielefelder Bürger sich im 16. und 17. Jahrhundert Hausmarken zugelegt. Ähnlich wie die Fabrikmarken der Jetztzeit wurden diese Zeichen in der Familie von Geschlecht zu Geschlecht erhalten. Mann und Frau hatten vielfach ähnliche Zeichen mit kleinen Abweichungen. Schreibunkundige Personen benutzten ihre Hausmarken als Zeichen eigenhändiger Unterschrift. Am Giebel des Hauses Consbruch, Obernstraße [2], der die Schönheiten des alten Hauses jetzt wieder erkennen läßt, sieht man im oberen Felde noch die Hausmarke, die auch auf dem Bielefelder Geldschein wiedergegeben ist. Wer die vielen Eigenheiten, die sonst noch auf den Scheinen enthalten sind, kennen lernen will, lege sich eine Meistersammlung des Bielefelder Kunstfleißes zu.

Werbung aus dem Jahr 1919 und Giebel des Hauses im Jahr 1906: Consbruch-Haus Bielefeld
Links: Giebel des Consbruch-Hauses im Jahr 1906 (Foto: Albert Ludorff); Rechts: Werbeanzeige aus dem Jahr 1919 - Bei F. Consbruch in der Obernstraße konnte man damals Porzellan, Steingut, Glas- und Kristallwaren und keramische Kunsterzeugnisse kaufen.


Die Stadt Bielefeld hat die alte westfälische Sitte, Inschriften an Bauernhäusern anzubringen, auf die Geldscheine übernommen. Urwüchsige Bilder, wie sie in Holz geschnitzt sich an den Giebeln in farbenfroher Zeichnung wiederfinden, sind auch im Bielefelder Notgeldschein festgehalten. Sämtliche Scheine sind mit Sinnsprüchen versehen, die dem bodenständigen Charakter unserer Ravensberger angepaßt sind. Auf den kleineren Geldscheinen zu 10, 25 und 50 Pfg. findest du die Namen der Mitglieder der Sparkassenverwaltung in Bilderrätseln: Heringshaus, Horn, Ruscher, Jockusch, Brüggemann, Hanke. Alte Sagen aus früheren Jahrhunderten tauchen wieder auf bei den 50-Pfg.-Scheinen, die zur 700jährigen Jubiläumsfeier in den Verkehr gebracht wurden. Interessant sind die Schnurren und Bielefelder Döhnekens:

„Höre, Junge, hast du schon mal vom Schmiedken von Bielefeld gehört?“ „Vater, ist das der besuffne Käl?“ „Ne, Junge, Schmiedken von Bielefeld holl ümmer de Ohren stief, he drunk, wann he trurig was un he drunk, wann he Pläseer harr. Da kannst dich up verloten, he was enen schlauen und tüchtigen Käl. Dat Schmiedken ut Bielefeld sitt in’n Himmel up sienen Schuotfell, he sitt in’n Himmel wie so’n richtigen Westfalen up sien Eegen, da kann der Herrguott nix dran dauhn. Durch siene Fisematenten kam he glücklich in’n Himmel. Dat was een Pläseer, he harr bei eener großen Proßjon in’n Himmel de Fahn driägn bis he ut den Himmel herut was. Da schmeet Petrus de Düer tau und Schmiedken sog, dat he alleen ut den Himmel stond und Petrus kek ut eenen Fensterken und greisen. He luert noch ümmer und kümmt erst wieder in’n Himmel, wenn jeder Kunstfreund dat Notgeld der Stad’ Bielefeld geköpt hat.

Sieh mal, Junge, die Scherenschnitte der 50-Pfg.-Scheine sind Meisterwerke. Sie sind in Schwarz-weiß-Manier von dem Mitinhaber Schreiber der Bielefelder Kunstdruckfirma Klocke u. Schreiber angefertigt. In Bielefeld hat sich in früheren Jahrhunderten aus der Handweberei die Maschinenfabrikation entwickelt. Auch die Scherenschnitte haben im Lauf der letzten 80 Jahre einen Weltruf erlangt. Nach Amerika und Spanien, nach der Schweiz und Holland wurden die Bielefelder Notgeldscheine abgegeben. Die künstlerischen Scherenschnitte haben so großen Beifall gefunden, daß die Stadt Bielefeld eine eigene Scherenfabrik angelegt hat. Am grünen Winkel [4] [Karte], dort, wo die Heeper Fichten stehen, siehst du die vielen kleinen Häuschen, in denen die 800 Arbeiter wohnen, die in der städtischen Scherenfabrik angestellt sind. Großvater sagte immer: „Die Notgeldscheine halte hoch in Ehren.“ Die eigenartigen, kunstvollen Scheine steigen von Jahr zu Jahr im Wert und stellen heute ein großes Vermögen dar. Für einen einzelnen Abdruck eines alten Bielefelder Fünfmarkstücks wurden im Jahre 1918 bereits 28 000 M in bar bezahlt. Die vollständigen Sammlungen der Notgeldscheine werden später sehr gesucht werden. Ein Hofrat aus Wien schrieb: „Bielefeld hat durch sein Notgeld ein Werk von kulturgeschichtlicher Bedeutung vollbracht.“ Du erhältst die Sammlung später als Erbschaft. Mutter und ich glauben, daß der Wert der Sammlung dir später mal die Anschaffung einer eigenen schuldfreien Besitzung möglich machen wird.

Bielefeld. Paul Hanke. 1921

Im hinteren Teil der Zeitschrift findet sich zwischen einer Sammlung kürzerer Beiträge noch eine Ergänzung zum Text vom selben Autor:

Bielefelder Notgeld (Ergänzung zum Artikel auf Seite 45)

Ein überaus interessantes und originelles Stück ist der von Herrn Landwehrmann, Bielefeld, entworfene Fünfmarkschein. Auf der Vorderseite ist zu sehen Kässken Brand mit seinem Esel. Kässken Brand war ein alter Bielefelder, der mit seinem Langohr wöchentlich zum Neumarkt kam. Dickfällig und faul, wie die Esel sind, war dieser eines Morgens in der Rathausstraße nicht von der Stelle zu bewegen. Kässken Brand ging in seiner Wut zu der jetzigen Krummacher'schen Apotheke [3] [Karte] und bat den Apotheker doch seinen Esel zum Gehen zu bewegen. Der Apotheker fand auch gleich das richtige Mittel; er setzte dem Esel, da wo der Rücken Endet, eine Pille, die so kräftig wirkte, daß der Esel auf und davon rannte. Kässken sperrte Mund und Nase auf, dann fragte er mit trockenem Humor: „Apotheker setzt mir auch solch eine Pille, damit ich dem Esel nachlaufen und ihn einholen kann.“

Die auf der Rückseite bildlich als Geburtstagskind dargestellte Wäscheindustrie ist von Eckfeldern mit humoristischen Bielefelder Inschriften umgeben:

Hier ruht der Küster und Organist,
Warum? Weil er gestorben ist.
Er dankte Gott in vielen Stunden.
Der Stein liegt oben und er liegt unten
(Altstädter Kirche.) [Karte]

Setzt sich ein holdes Mägdelein
So ganz allein auf diesen Stein
Im selben Jahr wird Braut sie sein.
(Waldkrug.) [Karte]

Geht Dir Rat aus
Geht aufs Rathaus
Dein Kopf wird heller
im Ratskeller.
(Rathaus.) [Karte]

Der Schein ist mit schwungvoller Feder und sicherer Hand gezeichnet.

Bielefelder Notgeld: 5 Mark Schein
Bielefelder Notgeld: 5 Mark Schein mit Ausschnittvergrößerungen, "Esel bockt und steht still..."


Eine besondere Seltenheit bildet aber der Großgeldschein über 100 Mark, der von der Bielefelder Kunststickerei der Frau Käte Mitte-Bartling in Bielefeld angefertigt ist. Der Schein ist zu der 700-Jahrfeier in feiner Handstickerei hergestellt. Die künstlerischen farbenfrohen Entwürfe enthalten Motive aus der Bielefelder Geschichte.

Hanke.

Bielefelder Notgeld: 5 Mark Schein
Bielefelder Notgeld: Gestickter 100 Mark Schein, Vorder- und Rückseite




[1] Fritz Eich, Grafiker, in Gütersloh aufgewachsen, lebte und wirkte in Bielefeld (1887-1957)
[2] Obernstraße 9, erbaut im Jahr 1606, im 2. Weltkrieg beschädigt und später abgerissen, in den Neubau der Sparkasse an der Obernstraße 36 wurden 1975 die Reste des alten Consbruch’schen Giebels integriert.
[3] Krummacher`sche Apotheke, Inhaber J. Kupfer, später Witwe Margarete Kupfer, Am Markt 2 (= heute Alter Markt 2)
[4] Gemeint ist die damals neu angelegte Arbeitersiedlung „Freie Scholle“

Bernd Szarkowski-Tegtmeier auf Google+