Eine Not-Goldmark aus Bielefeld und ihre Geschichte
Bernd Szarkowski-Tegtmeier June 2 2013 02:30:00 PM
Meine Heimatstadt Bielefeld hat in der Vergangenheit eine bewegte Geschichte durchlebt und natürlich auch geschrieben. Aus der einstigen Hauptstadt der Grafschaft Ravensberg wurde im 19. Jahrhundert ein industrieller Standort, eine Hochburg des Handels und auch ein beliebtes Urlaubsziel. Die Weltkriege haben Bielefeld aber auch getroffen und sein Gesicht nochmal komplett verändert. Aus diesen einzelnen Epochen sind immer wieder kleine Überbleibsel hervor gegangen, die man heute noch finden kann - wenn man genau hin schaut!Ein gutes Beispiel dafür ist eine Not-Goldmark Münze der Stadtsparkasse Bielefeld, die ab Ende 1923 in verschiedenen Material-Ausführungen als Spenden-Medaille zu Gunsten der Bevölkerung des von Frankreich und Belgien besetzten Ruhrgebietes verkauft wurde. Es gibt sie in Messing, vergoldeter Bronze und - ganz selten - auch aus massivem Silber. Mit einem Durchmesser von 31,75mm ist sie deutlich größer als eine 2€ Münze. Die Not-Goldmark war ab 1923 als Nachfolger der durch die Hyperinflation entwerteten Mark fest an den US-Dollar gekoppelt und sollte so Stabilität herstellen. Über das Bielefelder Notgeld allgemein habe ich ja bereits an anderer Stelle geschrieben.
Vorder- und Rückansicht der Medaille
Fachkundige werden jetzt wissen, dass es sehr viele alte Münzen aus Bielefeld und Umgebung gibt, die auch alle in einschlägigen Katalogen registriert sind [1]. Diese Medaille sticht aber schon aus der Masse heraus, da sie nicht nur handwerklich, sondern auch inhaltlich eine der hochwertigsten Notgeldmünzen ist, die je hergestellt wurden. In Sammlerkreisen wird sie auch "Bielefelder Michel" genannt. Kopf- und Zahlseite, wie wir es heute gewohnt sind, gibt es nicht wirklich. Viel mehr werden beide Seiten genutzt, um jeweils ein Thema darzustellen. Da tritt der Wert der Münze, die Zahl "1", ehr in den Hintergrund, so dass sie erst auf den zweiten Blick ins Auge fällt. Ich nenne diese Seite hier aber trotzdem "Zahlseite", die Kehrseite nenne ich "Rückseite".
Die Zahlseite beklagt einen Betrug - und sie wussten nichts von der Lüge
In der Mitte der Zahlseite ist vor der besagten "1" ein Kopf mit Schlafmütze zu sehen. Es ist Otto von Bismarck, der durch die Schlafmütze als "Deutscher Michel", also als eine Art Witzfigur dargestellt wird. Ihn umgibt der Spruch "Michel unbesiegt aber betrogen". Mit "unbesiegt" ist die "Dolchstoßlegende" gemeint, die heute durch geschichtliche Fakten als Lüge aufgeklärt ist. Hohe Funktionäre hatten nach dem verlorenen ersten Weltkrieg die Geschichte erfunden, dass die Deutschen Truppen im Feld gesiegt hätten, jedoch nach der Heimkehr vom eigenen Volk hinterrücks erdolcht wurden. Später wurde diese Lüge noch von Friedrich Ebert und Reichpräsident Hindenburg wiederholt, was wesentlich zum Untergang der Weimarer Republik beitrug.
Man berief sich auf den 14-Punkte-Plan des US-Präsidenten
In einem kleinen Wappen am Rand dieser Zahlseite sind ferner die Worte und Zahlen "Wilson 14 Punkte Waffenstillstand 1918" zu lesen; und damit klärt sich auch die Frage, warum der Michel denn betrogen wurde: Nämlich durch den Versailler Vertrag. Auf der Münze wird sich hier auf den recht moderaten 14 Punkte umfassenden Friedensplan des US-Präsidenten Woodrow Wilson berufen, der eine für damalige Verhältnisse sehr moderne Nachkriegsordnung für Europa war. Er war eine Vorstufe des Kriegsendes durch den Waffenstillstand von Compiègne und des anschließenden Versailler Vertrages. Vor Allem auf Druck aus Frankreich (siehe Rückseite der Münze) sind die Vertragsverhandlungen selbst aber anders verlaufen, als man sich das in Deutschland so vorstellte. Es wurde Deutschland die alleinige Kriegsverantwortung zugeschrieben und das Land kompromisslos zu Reparationszahlungen an die Siegermächte gezwungen. Ebenso gab es erhebliche Gebietsabtretungen. Das Deutsche Volk fühlte sich - aus damaliger Sicht zurecht - betrogen, da es ja angeblich den Krieg gewonnen hatte.
Sehr klein und handwerklich auf höchstem Niveau ist das Wort "Goldmark" mit Propaganda gefüllt
Erstaunlich ist hier die Kombination von Kriegspropaganda und politischer Satire, denn immerhin wurde die Münze von offizieller Stelle herausgegeben. Mit solch offener Kritik hätte man ein paar Jahre später sein Leben riskiert - ein klares Zeichen der (noch) herrschenden Demokratie. Die in dieser Zeit alltäglich Propaganda wird so richtig deutlich, wenn man sich das Wort "Goldmark" unterhalb des Konterfeis von Bismarck genau anschaut. Die meisten der Buchstaben sind im Inneren durch weitere gefüllt, die mit einer Schrifthöhe von etwa 0,75mm mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen sind. Sie ergänzen den umschließenden zu einem neuen Wort, so dass sie zusammen ein bisschen verschlüsselt diesen Satz ergeben: "Germanen liebet Deutschland mit Andacht Reinheit Kraft".
Thema der Rückseite: Die Ruhrbesetzung und die Sage
Der "Schmied von Bielefeld" ist eine Sage, die inzwischen etwas in Vergessenheit geraten ist. In diesen Jahren war sie aber wohlbekannt, denn das Hauptmotiv der Rückseite nimmt das Thema auf. Es gibt viele unterschiedlich lange Versionen dieser Erzälung (eine Kurzfassung ist weiter unten auf dieser Seite zu finden), die ursprünglich teilweise aus dem Münsterland und aus der Gegend um Paderborn stammen. Im Kern geht es dabei um eben diesen Schmied, der mehrmals mit viel Tücke dem Teufel entkommt und diesen dabei oftmals kräftig vermöbelt, so dass sein Tod immer wieder Aufschub bekommt. Am Ende schwebt er dann zwischen Himmel und Hölle, da ihn durch sein trickreiches Vorgehen niemand mehr haben möchte.
In diesem Kontext sind auf der Münze beide Hauptdarsteller abgebildet - und beide sind reellen Personen zugeordnet. Der schlagfertige Schmied ist der damalige Preußische Innenminister (später auch Reichsinnenminister) Carl Severing, der durch seine Bielefelder Wurzeln lokal sehr geschätzt wurde. Er sitzt auf seinem Amboss und stützt sich auf einen übergroßen Hammer. Der Amboss ist beschriftet mit "Schmied von Bielefeld" und "Sirach 30 Vers 12" (Auf den Sirach-Vers komme ich später zurück). Unter dem Amboss ist etwas verschlüsselt der Name "Minister Severing" zu lesen, wobei die Silbe "ring" als Kreis bildlich dargestellt ist. Der Sinn hinter der Verschlüsselung ist sicherlich, dass der Minister im Hinblick auf eine seiner schwierigsten Aufgaben im Amt, nämlich die Besetzung des Ruhrgebietes, auf dieser politisch brisanten Münze nicht direkt genannt werden sollte. Man wollte ihn so schützen und vor Allem nicht in dieser Arbeit behindern, denn das würde ja den Zweck dieser Medaille komplett verkehren.
Unter dem Amboss wird Minister Carl Severing verschlüsselt genannt, um ihn zu schützen
Rechts neben ihm hockt der Teufel in devot bittender Haltung. Er stellt den französischen Ministerpräsident Raymond Poincaré dar, der um die durch den Versailler Vertrag versprochenen Kriegsreparationen "bettelt". Frankreich und Belgien hatten in der Zeit immer wieder im Rahmen ihrer "Politik der Produktivpfänder" Teile des Ruhrgebietes besetzt und die Kontrolle über Industriebetriebe übernommen, wenn die Reparationslieferungen in Verzug gerieten. Und im Krisenjahr 1923 besetzten sie seit dem 11. Januar das gesamte Ruhrgebiet bis Dortmund mit bis zu 100.000 Soldaten. Treibende Kraft dieser Unfrieden stiftenden Aktionen war damals der dargestellte Ministerpräsident, was ihm nicht nur international Kritik einbrachte, sondern auch die Rolle des Teufels auf dieser Münze. Frankreichs unnachgiebige Haltung hatte eine Verarmung und Enteignung der deutschen Mittelschicht zur Folge, was später wesentlich zum Aufstieg des Nationalsozialismus beitrug.
Der Kopf des Teufels wird auf der Medaille auch als Rübe dargestellt, indem ihm Blätter oben heraus wachsen. Das Motiv ist bekannt aus vielen anderen Notgeldscheinen der Stadt Bielefeld. Die sauren Rüben waren hier in den Kriegstagen ein ungeliebter Ersatz für Kartoffeln, die es immer seltener gab. Auf dieser Münze ist sie nur ein weiteres Zeichen für den Spott und die Unbeliebtheit des Poincaré.
Reymond Poincaré als Teufel und zugleich als Rübe (rote Umrandung), rechts ein original Portrait (Quelle rechtes Bild: Wikipedia.org)
Auf den Blättern dieser Rübe ist das zweite Bibelzitat zu lesen: "Sirach 23 Vers 7" zu lesen. Jesus Sirach war ein Lehrer, wahrscheinlich in Jerusalem. Und so passten seine belehrenden (oder ehr "oberlehrerhaften") Sprüche wohl am besten in diese Situation. Der Teufel sagt mit seinem Sirach-Vers, "Frankreichs Wunsch", der Schmied erwidert mit seinem "Deutschlands Wille", so stand es auf einem speziell bedruckten Papiertütchen, in dem die Medaille verkauft wurde. Sucht man sich die Zitate einmal heraus, dann sagt Raymond Poincaré "Ihr Söhne, vernehmt die Unterweisung über das Reden; wer sie beachtet, verfehlt sich nicht.". Frei übersetzt als Klartext: "Passt auf, was ihr sagt, ihr Deutschen". Carl Severing erwidert darauf "Beug ihm den Kopf in Kindestagen; schlag ihn aufs Gesäß, solange er noch klein ist, sonst wird er störrisch und widerspenstig gegen dich und du hast Kummer mit ihm." Letzteres ist vermutlich eine Anspielung auf den Deutsch-Französischen Kieg, den Frankreich initiiert und verloren hatte.
Schauen wir uns jetzt einmal das an, was um die Szene herum zu lesen ist. Am unteren Ende dieser Rückseite findet man recht unspektakulär die Worte "Stadt Bielefeld" und "Ruhr Hilfe". Weiter rechts ist das Datum 11.8.1923 verewigt, das das Prägedatum der Münze sein könnte. Es ist allerdings auch der vierte Jahrestag der Weimarer Verfassung, der damals erstmalig als nationaler Feiertag begangen wurde. Ebenso übte die britische Regierung an diesem Tag öffentlich Kritik an Frankreich und Belgien und bezeichnete die Ruhrbesetzung als rechtswidrig - ein einschneidendes außenpolitisches Ereignis in der Nachkriegszeit. Nimmt man nun auch hinzu, dass dieses Datum auch auf manch anderem Notgeldschein zu finden ist, liegt es also nahe, dass der Tag wahrscheinlich nicht wirklich das Prägedatum ist. Viel mehr ist es ein als Prägedatum getarnter Hinweis auf diesen historischen Tag.
Sehr interessant finde ich allerdings den Propaganda-Spruch im oberen Teil: "Einig und gleich ein Volk ein Reich". Das ist nämlich ein Mix aus zwei anderen Parolen, den ich bislang nur hier gesehen habe. Die erste, sie stammt aus der Kaiserzeit, lautet "Das Wort sei frei, das Herze treu - einig und gleich, treu Kaiser und Reich". Die zweite Parole lautet "Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer" und stammt aus der NS-Propaganda. Sie wurde 1938 im Rahmen des Anschluss Österreichs ins Deutsche Reich geprägt. Die Parole vermischt also Vergangenes und Zukünftiges - Propaganda im Wandel der Zeit.
Sorgen von gestern?
Die Kriegszeiten sind lange vorbei, aber auch heute spüren wir die Auswirkungen der Weltkriege mehr, als man das auf den ersten Blick sieht. So ist z.B. die letzte Rate von 200 Millionen Euro der im Versailler Vertrag verhandelten Reparationen am 3. Oktober 2010 an Frankreich und Belgien überwiesen worden. Es sind also längst keine Themen, aus denen wir alle rausgewachsen sind. Es sind viel mehr die Grundlagen, auf dessen heute noch ein großer Teil der politischen Entscheidungen weltweit getroffen werden. Und ein kleiner Teil dessen ist von Zeitgenossen auf dieser einzigartigen Medaille verewigt worden - in Bielefeld.
Am Schluss ergänze ich noch eine oft zitierte Kurzform der erwähnten Sage. Wer mehr lesen möchte, der wird auf google Books fündig werden; dort gibt es auch plattdeutsche Fassungen. Ich hoffe, dass ich alle geschichtlichen Zusammenhänge korrekt und verständlich formuliert habe und bin natürlich für jede Ergänzung offen! Und ich hoffe, dass Ihr so viel Freude am Lesen hattet, wie ich am Schreiben ;-)
Der Schmied von Bielefeld
In Bielefeld lebte einst ein Schmied, der seine Kunst wie kein anderer verstand. Um immer noch Besseres zu leisten und in den Besitz aller geheimen Künste zu kommen, ging er einen Bund mit dem Teufel ein. Da wurde er so berühmt, dass auch St. Petrus, der einmal in das Land hinunter musste und dessen Pferd ein loses Hufeisen hatte, zu ihm ging. Auf die Frage nach seiner Schuldigkeit erhielt Petrus die Antwort des Schmiedes, Geld wolle er nicht, aber der Apostel möge ihm einen Beutel, aus dem ihm stets das Geld fortkäme, segnen. Das tat Petrus.
Bald darauf war die Vertragsfrist mit dem Teufel abgelaufen, welcher kam, den Schmied zu holen. Als der Teufel anklopfte, sagte ihm der Schmied, die Tür brauche er ihm nicht zu öffnen, er möge durch das Schlüsselloch herein fahren. Das tat der Teufel, geriet aber in den innen davor gehaltenen Beutel des Schmieds, der ihn schnell verschloss und dann auf dem Amboss den Teufel derart bearbeitete, dass der bereit war, auf den Schmied zu verzichten.
Als der Schmied nun seinen Tod nahe fühlte, ließ er sich sein altes Schurzfell umtun und ging so, als der Tod erfolgt war, zur Himmelstür, wurde aber von Petrus abgewiesen wegen seines früheren Vertrages mit dem Teufel. Der Teufel aber wies ihn wegen der vom Schmied bezogenen Prügel bei seinem Versuche, in der Hölle Unterschlupf zu finden, ebenfalls ab. So ging er zur Himmelstür zurück und warf, als Petrus einer frommen Jungfrau die Tür öffnete, sein Schurzfell hinein. Petrus verwies ihm das und hieß es ihn wieder hinaus zu holen. Aber einmal im Himmel, setzte sich der Schmied auf sein Schurzfell und weigerte sich zu gehen, Petrus erinnerte sich, dass der Schmied gern den Armen gegeben hatte und ließ ihn auf seinem Platze, wo er heute noch sitzt.
In Bielefeld lebte einst ein Schmied, der seine Kunst wie kein anderer verstand. Um immer noch Besseres zu leisten und in den Besitz aller geheimen Künste zu kommen, ging er einen Bund mit dem Teufel ein. Da wurde er so berühmt, dass auch St. Petrus, der einmal in das Land hinunter musste und dessen Pferd ein loses Hufeisen hatte, zu ihm ging. Auf die Frage nach seiner Schuldigkeit erhielt Petrus die Antwort des Schmiedes, Geld wolle er nicht, aber der Apostel möge ihm einen Beutel, aus dem ihm stets das Geld fortkäme, segnen. Das tat Petrus.
Bald darauf war die Vertragsfrist mit dem Teufel abgelaufen, welcher kam, den Schmied zu holen. Als der Teufel anklopfte, sagte ihm der Schmied, die Tür brauche er ihm nicht zu öffnen, er möge durch das Schlüsselloch herein fahren. Das tat der Teufel, geriet aber in den innen davor gehaltenen Beutel des Schmieds, der ihn schnell verschloss und dann auf dem Amboss den Teufel derart bearbeitete, dass der bereit war, auf den Schmied zu verzichten.
Als der Schmied nun seinen Tod nahe fühlte, ließ er sich sein altes Schurzfell umtun und ging so, als der Tod erfolgt war, zur Himmelstür, wurde aber von Petrus abgewiesen wegen seines früheren Vertrages mit dem Teufel. Der Teufel aber wies ihn wegen der vom Schmied bezogenen Prügel bei seinem Versuche, in der Hölle Unterschlupf zu finden, ebenfalls ab. So ging er zur Himmelstür zurück und warf, als Petrus einer frommen Jungfrau die Tür öffnete, sein Schurzfell hinein. Petrus verwies ihm das und hieß es ihn wieder hinaus zu holen. Aber einmal im Himmel, setzte sich der Schmied auf sein Schurzfell und weigerte sich zu gehen, Petrus erinnerte sich, dass der Schmied gern den Armen gegeben hatte und ließ ihn auf seinem Platze, wo er heute noch sitzt.
[1]: Die Münze ist z.B. im Funck-Katalog unter #633.1 und im Menzel unter #2776.1 verzeichnet.
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