Vor ein paar Tagen war es genau 40 Jahre her, dass The Sisters Of Mercy ihren Auftritt im PC69 in Bielefeld hatten. Eigentlich wollte ich diesen Text pünktlich zum Jubiläum veröffentlichen, das hat aber leider nicht funktioniert. Dafür hatte ich mir aber die Zeit genommen, diesen Blog technisch zu erneuern. Und ich habe tatsächlich meine Schreibtätigkeit nach einer Pause von über 10 Jahren wieder aufgenommen. Da ist so manches Thema im Backlog.
Hier geht es um ein legendäres Konzert und dessen epische Rille, die es im Vinyl hinterlassen hat.
The Last Time Around ist eines von gefühlt hunderten existierenden Bootlegs diverser Auftritte von The Sisters of Mercy. Warum es nicht nur für mich ein Besonderes ist, erkläre ich hier mit einem LP-Review und etwas wissenswertem Kontext.

Es war der 21. April 1985 als Andrew Eldritch, Gary Marx, Wayne Hussey und Craig Adams die Bühne im PC69 betraten. Sie hatten natürlich auch das fünfte Bandmitglied mitgebracht: Dr. Avalanche, so nannte Eldritch seinen Drumcomputer, ein Boss DR55 „Doktor Rhythm“ mit einem Mono-Ausgang.

Erst am 11. März war ihr erster Longplayer First and Last and Always veröffentlicht worden und die Europatour Armageddon ’85 stand noch ganz am Anfang. Mit dieser LP hatten The Sisters Of Mercy ihr neu erfundenes Genre, den Goth Rock, weltweit etabliert. Die Zugehörigkeit wurde allerdings seitens der Band immer wieder zurückgewiesen, denn mit „Goth“ identifizierten sie sich gar nicht – vor allem nicht Eldritch.

Andrew Eldritch, Mastermind und Frontmann der Band, galt bereits in den frühen 80ern als Perfektionist. Geprägt von düsteren Klängen, post-punkigen Elementen und seiner markanten Stimme, war Eldritch der unbestrittene Kopf der Band. Doch die Arbeit an First and Last and Always war alles andere als reibungslos. Zwischen Eldritch und dem Gitarristen Wayne Hussey (vormals Dead or Alive) entbrannten immer wieder kreative Differenzen. Eldritch strebte nach einem düsteren, minimalistischeren Sound, während Hussey mehr melodische und bombastische Elemente einbringen wollte. Die Situation auf der Bühne war also – mindestens – angespannt.
Eldritch war und ist – sagen wir – geradlinig und streitbar und so kam wie es kommen musste. Die Spannungen führten schließlich zum Ausstieg von Gary Marx – noch während der Tour. Kurz darauf verließen auch Wayne Hussey und Craig Adams die Band, um später The Mission zu gründen. Dazu später mehr.
Der Moment, wenn das einzige Bandmitglied, das dich nicht verlässt, ein Drumcomputer mit Mono-Ausgang ist…
Das Konzert im PC69 war also eines der wenigen Events, die mit der ersten Formation vollständig besetzt waren. Es ist wahrscheinlich der Tontechnik selbst zu verdanken, dass damals ein Tonband mitlief und das Konzert aufzeichnete. Hinzu kommt der glückliche Umstand, dass die Akustik in der Halle für damalige Verhältnisse sehr ausgefeilt war. Das PC69 selbst war noch kein Jahr alt und zu der Zeit experimentierte man viel; was hier sehr gut gelungen war. Beispielsweise hingen diese silbernen Tonnen unter der Decke – der eine oder andere wird sich erinnern. Es handelte sich dabei um „Hochtonfallen“ die Reflexionen bzw. Echos verhindern. Hohe Töne hauen einem manchmal ganz schön um die Ohren, wenn es sich um symmetrische lange Räume mit Betonwänden handelt. Und wenn man dann noch die alten Platten von The Sisters Of Mercy oder von Einstürzende Neubauten auflegt, hört man das deutlich. Mit den Tonnen konnte dieser ungewollte Effekt weitestgehend verhindert werden. Das und einige andere Optimierungen verursachten den typischen Sound im PC69 – und den erkennt man deutlich auf dem Bootleg.

Die Aufnahme wurde 1987 inoffiziell als Bootleg unter dem Namen The Last Time Around auf Vinyl und auf CD veröffentlicht. Der Titel, der ja frei übersetzt „Die letzte Runde“ bedeutet, hätte aus oben genannten Gründen kaum treffender gewählt werden können. Es gibt jeweils zwei verschiedene Versionen der Veröffentlichungen (also 2x CD und 2x Vinyl), bei denen sich die Farbgebung der Tonträger unterscheiden. Die Vinyl-Versionen sind als Doppel-LP in einer einzelnen Papphülle ausgeführt. Das Vinyl selbst ist in gesprenkelten Farbversionen hergestellt worden. Bei den CDs ist das ähnlich, nur dass hier jeweils ein Tonträger ausreicht. Auf der Innenseite der CD-Versionen ist eine Eintrittskarte und ein Tourposter abgebildet – natürlich alles vom passenden Konzert. Alles in allem sind das äußerlich sehr professionell hergestellte Bootlegs bei denen man den Eindruck gewinnt, dass sie vom Label Merciful Release selbst sind. Sind sie aber nicht.
Und noch ein Aber. Leider hatte das Tonband einige Schadstellen, die es auch auf die LP geschafft haben. Beispielsweise gibt es eine hässliche Stelle bei Alice und auch bei Floorshow. Das sind heftige Wermutstropfen, doch wenn man einmal über den Tellerrand schaut wird man feststellen, dass es unendlich viele Bootlegs von den frühen Touren der Band gibt, die qualitativ ehr in die Tonne gehören. Spontan fällt mir dazu Sister Ray ein, ein Bootleg, der teilweise aus dem Hunky Dory in Detmold stammt. Eines von vielen Beispielen, die sicherlich mit guten Absichten erstellt wurden. Im Vergleich mit anderen Bootlegs macht The Last Time Around also eine top Figur!
Ich hatte lange Zeit darüber nachgedacht, die beschädigten Tracks zu reparieren, denn gewisse Stellen wiederholen sich bekanntlich innerhalb eines Liedes. Und der Drumcomputer stellt sicher, dass der Takt überall hundertprozentig gleich ist (…es sei denn das Band leiert…). Da kann man sicher was machen.
Es bleibt festzustellen: Für ein Bootleg ist die Tonspur richtig gut.
Oder anders ausgedrückt, weil es ja auch auf Vinyl erschienen ist: Es ist eine richtig coole Rille! Und wenn man die Tatsache hinzuzieht, dass es von dieser Formation kein offizielles Live-Album gibt, wird diese relativ gut gelungene Aufnahme zu etwas Besonderem.
Inzwischen ist die Aufnahme auch auf YouTube zu finden.

des Albums First And Last And Always.
Die vollständige Tracklist der The Last Time Around auf CD wie auf Vinyl ist wie folgt:
- First And Last And Always (4:24) – Eldritch, Marx
- Body And Soul (3:46) – Eldritch
- Marian (5:12) – Eldritch, Hussey
- No Time To Cry (4:07) – Eldritch, Marx, Hussey
- Possession (4:44) – Eldritch, Hussey
- Walk Away (4:01) – Eldritch, Marx
- Emma (6:35) – Hot Chocolate Cover (Original: Errol Brown, Tony Wilson)
- Amphetamine Logic (4:15) – Eldritch, Hussey
- A Rock And A Hard Place (3:31) – Eldritch, Hussey
- Floorshow (3:51) – Eldritch, Marx
- Alice (3:32) – Eldritch, Marx
- Gimme Shelter (6:23) – Rolling Stones Cover (Original: Jagger, Richards)
- Knockin‘ On Heaven’s Door (6:09) – Bob Dylan Cover (Original: Bob Dylan)
- Train (3:05) – Eldritch, Marx

Natürlich bekommt ein solches Bootleg auch „Kinder“, d.h., das Material taucht immer wieder auf. Den Anfang machte schon 1988 ein italienisches Songbook mit Noten der The Sisters Of Mercy, bei dem in der ersten Auflage eine 7 Inch Schallplatte (mit 33 RPM!) mit „Emma“ aus diesem Konzert und Ghost Dance (ein Cover von dem Duo Suicide, an dem auch Alan Vega beteiligt war) aus einem Konzert, das etwa einen Monat vorher in Newcastle stattfand. Spätere Auflagen hatten dann eine 3 Inch CD anliegen mit gleichem Inhalt, statt Vinyl.
In den Verzeichnissen taucht diese Single immer unter dem Titel Emma / Ghost Rider auf. Das Interessante daran ist, dass der Handel dieser Tonträger offenbar offiziell betrieben werden kann, während der Handel von The Last Time Around z.B. bei Discogs untersagt ist. Irgendjemand hat also irgendwann einmal eine offizielle Freigabe zur Vervielfältigung dieser inoffiziellen Aufnahmen bekommen. Vielleicht ist es möglich gewesen, weil beide Songs Cover-Versionen sind, also die Kompositionen nicht von Eldritch, Hussey oder Marx stammen. Hier ist reichlich Platz für Spekulationen.

Aber zurück zur Band. Wie man sich vorstellen kann, verlief die Trennung turbulent. The Mission sollte ursprünglich The Sisterhood heißen; und hier waren Streitereien mit Blick auf Namensrechte vorprogrammiert. Eldritch erstickte dies im Keim, indem er selbst die Single „Gift“ unter diesem Bandnamen herausbrachte, noch bevor seine Ex-Kollegen aktiv werden konnten. Hussey und Adams entschieden sich erst daraufhin für den Bandnamen The Mission.
Eldritch sorgte auch später immer wieder für Gesprächsstoff, der ihm die unumstrittene Gradlinigkeit bescheinigte. Ein gutes Beispiel ist seine Art, wie er Warner dazu gebracht hat, sich von ihm zu trennen. Dies ist im Netz gut dokumentiert und braucht hier sicher nicht wiederholt werden.
Aber sind diese Umstände jetzt tragisch? Im Prinzip exemplarisch für das hier vorgestellte Konzert vielleicht ja, im Grunde aber nein – lautet meine holprige Antwort. Die Musikwelt braucht Menschen wie Eldritch und Hussey. Manches wird nur durch Reibung richtig gut, das erlebt man immer wieder. Dafür gibt es sehr viele Beispiele, angefangen von Joy Division bis hin zu Queen. Und Geradlinigkeit verhalf Künstlern wir Björk zum Erfolg. Was wir hier sehen ist nicht untypisch für den Entstehungsprozess erfolgreicher Bands. Übrig bleiben Meilensteine und unersetzliche Abende, wie dieser hier im PC69 Bielefeld.
Es war mir leider selbst nicht vergönnt an diesem Tag dabei zu sein. Man müsste hauptberuflich Konzertbesucher sein, um sich irgendwann im Leben mal nicht mehr ärgern zu müssen, dass man irgendetwas verpasst hat. The Sisters of Mercy habe ich später „eineinhalb“ Mal gesehen. Ein Mal im Kick Herford und ein zweites Mal habe ich im Bielefelder Ringlokschuppen parallel in der anderen Halle gearbeitet. Wer im PC69 dabei war, kann hier gern einmal seine Eindrücke in die Kommentare schreiben. Ergänzungen und Korrekturen sind natürlich auch herzlich willkommen.
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